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Am 18.-20. Mai 2005 hat in Moskau an der Russischen Universität für Humanwissenschaften (RGGU) eine internationale Tagung zum Thema „Der Diskurs der Personalität. Philosophische Begriffe im interkulturellen Umfeld“ stattgefunden. Sie wurde von dem Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum und dem Zentrum für phänomenologische Philosophie der RGGU organisiert und von der Volkswagen-Stiftung gefördert.
Die Fragestellung der Tagung griff ein Problem auf, das aktuell kontrovers diskutiert wird: Läßt sich ein interkulturell konsensuelles Verständnis von ‚Person’ entwickeln, das die normativen Forderungen nach dem weltweiten Schutz von Personenrechten fundiert oder sind die Differenzen beim Verständnis der Person und ihrem Stellenwert in Kultur und Gesellschaft unaufhebbar? Im Rahmen der Tagung hat Dieter Sturma (Duisburg-Essen) die Grundzüge einer ‚Philosophie der Person’, die verschiedene Aspekte und Etappen des Nachdenkens über die personale Identität des Menschen in der europäischen Philosophie zu integrieren sucht, hat bei der Tagung entworfen. Das präsentierte Spektrum der Positionen reichte von den antiken Stoikern mit der Lehre vom vernünftigen Leben des Individuums bis hin zu den modernen Debatten in der analytischen Philosophie um die ‚personal identity’.
Die Diskussionen der Tagung konzentrierten sich vor allem auf ein facettenreiches Fragment dieses Problemfeldes, nämlich auf Transformationen und Bedeutungsverschiebungen im Verständnis von Person, Individuum und Subjekt, die im den kulturellen und philosophischen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Rußland seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten sind. Eine Hinwendung zur Geschichte dieser Beziehungen verdeutlicht gleichzeitig den Hintergrund der politischen und kulturellen Situation, in der sich Rußland nach den zahlreichen Wechselfällen von Revolution und Reaktion heute befindet.
Diese Geschichte reicht in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts als die russischen Intellektuellen ihre kritische Reflexion der politischen Zustände in Rußland mit den Mitteln der deutschen klassischen Philosophie von Kant bis Hegel und Feuerbach entwickelten. In dieser Zeit entstehen auch in der russischen Sprache die Begriffe, die ‚Personalität’ bezeichnen (Person, Persönlichkeit, Individuum, Subjekt). Jedoch aus dem Spektrum der Deutungen von Person, mit denen die deutsche Philosophie aufwartete (Walter Jaeschke, Ruhr-Universität-Bochum), hatte in Rußland nicht die rechtliche oder moralische Bedeutung der Person als ‚zurechnungsfähigen Individuums’, sondern vielmehr die ästhetische und geschichtsphilosophische Bedeutung von ‚kreativen Individualität’ an Einfluß gewonnen. So hatten Michael Bakunin, Alexander Herzen und die Slavophilen stets die künstlerisch-religiöse Bedeutung von Person hervorgehoben und sie der ‚westlichen’ rechtlichen und ökonomischen Auffassung des Individuums und des Privateigentums entgegengesetzt (Vorträge von Al’bert Aljoschin, RGGU und Nikolaj Plotnikov, Ruhr-Universität). Diese Differenzen sind zum Teil durch religiöse Auffassungen von Person in der West- und Ostkirche bedingt (Vorträge von Ludwig Wenzler, Universität Freiburg und Alexej Chernjakov, Religiös-philosophische Hochschule, Sankt-Petersburg), zum Teil aber durch die eminente Stellung der Literatur, die in Rußland mangels freier Forschung und Öffentlichkeit zum Ort der philosophischen Reflexion wurde (Vortrag von Natalja Samover, Presseagentur REGNUM, Moskau).
Erst in der Zeit um 1900 entfaltet sich in Rußland ein weitverzweigter Diskurs über die Personalität, der wiederum im Zeichen der Rezeption von Kant, Nietzsche und Marx steht (Vorträge von Alexander Haardt, Ruhr-Universität, Igor Jevlampiev, Verwaltungsakademie Sankt-Petersburg u.a.). Bereits hier bildet sich eine Spannung zwischen einem Individualismus und einem Kollektivismus in der Auffassung von Person, die für die Geschichte Rußlands im 20. Jahrhundert dramatische Folgen zeitigt. Denn mit der Revolution von 1917 wird eine Auffassung von Person als Glied der Gemeinschaft herrschend, die dem Individuum jede Möglichkeit einer personalen Selbstidentifikation (selbst auf sprachlicher Ebene) nimmt (Vortrag von Boris Dubin, von dem demoskopischen Levada-Zentrum, Moskau). Auf der anderen Seite bildet sich im Laufe der Sowjetgeschichte ein offizieller Diskurs von der ‚kommunistischen Persönlichkeit’, in dessen Mittelpunkt rein materialistische Aspekte wie Bedürfnisbefriedigung und technischer Fortschritt stehen (Vortrag von Alexander Bikbov, Hochschule der freien Künste, Sankt-Petersburg).
Die Begriffsgeschichte von Person in der russischen Kultur bleibt auch hinsichtlich des gegenwärtigen kulturellen Bewußtseins Rußlands virulent (Vorträge von Edward Swiderski, Universität Fribourg, Irina Levontina, Institut für russische Sprache, Moskau u.a.), denn in dem heutigen Sprachgebrauch und der philosophischen Reflexion wirken diese Muster des Verständnisses von Person nach: einerseits in der schwachen Ausprägung der rechtlichen Seite des Personenbegriffs, andererseits in einer stärkeren Verknüpfung des ‚Personalen’ mit dem Gemeinschaftlichen im Gegensatz zum ‚Egoistischen’ und ‚Individuellen’.
Die Diskussionen der Tagung zeigten jedoch, daß bei allen Differenzen und Bedeutungsverschiebungen in der Auffassung von Person und trotz der in Rußland zu beobachtenden Tendenzen einer Modernisierungsverweigerung die Gemeinsamkeit des europäischen Denkraumes deutlich wird, die die russische Begriffsgeschichte der Personalität zu einem spannendem Kapitel der europäischen ‚Dialektik der Moderne’ macht.
Letzte Aenderung: 21:27 25.06.2005