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III. Philosophischer Diskurs.

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Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. 1 Auflage

(1781) *

Dritter Paralogism, der Personalität.

Was sich der numerischen Identität seiner selbst in verschiedenen Zeiten bewußt ist, ist so fern eine Person: Nun ist die Seele etc. Also ist sie eine Person.

Kritik des dritten Paralogisms der transscendentalen Psychologie.

Wenn ich die numerische Identität eines äußeren Gegenstandes durch Erfahrung erkennen will, so werde ich auf das Beharrliche derjenigen Erscheinung, worauf als Subject sich alles übrige als Bestimmung bezieht, Acht haben und die Identität von jenem in der Zeit, da dieses wechselt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenstand des innern Sinnes, und alle Zeit ist blos die Form des innern Sinnes. Folglich beziehe ich alle und jede meiner successiven Bestimmungen auf das numerisch identische Selbst in aller Zeit, d. i. in der Form der inneren Anschauung meiner selbst. Auf diesen Fuß müßte die Persönlichkeit der Seele nicht einmal als geschlossen, sondern als ein völlig identischer Satz des Selbstbewußtseins in der Zeit angesehen werden, und das ist auch die Ursache, weswegen er a priori gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr als: in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit als zur Einheit meines Selbst gehörig bewußt; und es ist einerlei, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in mir als individueller Einheit, oder: ich bin mit numerischer Identität in aller dieser Zeit befindlich.

Die Identität der Person ist also in meinem eigenen Bewußtsein unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte eines andern (als Gegenstand seiner äußeren Anschauung) betrachte, so erwägt dieser äußere Beobachter mich allererst in der Zeit, denn in der Apperception ist die Zeit eigentlich nur in mir vorgestellt. Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit in meinem Bewußtsein und zwar mit völliger Identität begleitet, ob er es gleich einräumt, doch noch nicht auf die objective Beharrlichkeit meiner selbst schließen. Denn da alsdann die Zeit, in welche der Beobachter mich setzt, nicht diejenige ist, die in meiner eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist die Identität, die mit meinem Bewußtsein nothwendig verbunden ist, nicht darum mit dem seinigen, d. i. mit der äußeren Anschauung meines Subjects, verbunden.

Es ist also die Identität des Bewußtseins meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweiset aber gar nicht die numerische Identität meines Subjects, in welchem unerachtet der logischen Identität des Ich doch ein solcher Wechsel vorgegangen sein kann, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beizubehalten, obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in jedem andern Zustande, selbst der Umwandelung des Subjects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subjects aufbehalten und so auch dem folgenden überliefern könnte.[1]

Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen, daß alles fließend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend sei, nicht statt finden kann, sobald man Substanzen annimmt, so ist er doch nicht durch die Einheit des Selbstbewußtseins widerlegt. Denn wir selbst können aus unserem Bewußtsein darüber nicht urtheilen, ob wir als Seele beharrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasjenige zählen, dessen wir uns bewußt sind, und so allerdings nothwendig urtheilen müssen, daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewußt sind, eben dieselbe sind. In dem Standpunkte eines Fremden aber können wir dieses darum noch nicht für gültig erklären, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknüpft, so können wir niemals ausmachen, ob dieses Ich (ein bloßer Gedanke) nicht eben sowohl fließe als die übrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden.

Es ist aber merkwürdig, daß die Persönlichkeit und deren Voraussetzung, die Beharrlichkeit, mithin die Substanzialität der Seele jetzt allererst bewiesen werden muß. Denn könnten wir diese voraussetzen, so würde zwar daraus noch nicht die Fortdauer des Bewußtseins, aber doch die Möglichkeit eines fortwährenden Bewußtseins in einem bleibenden Subject folgen, welches zu der Persönlichkeit schon hinreichend ist, die dadurch, daß ihre Wirkung etwa eine Zeit hindurch unterbrochen wird, selbst nicht sofort aufhört. Aber diese Beharrlichkeit ist uns vor der numerischen Identität unserer selbst, die wir aus der identischen Apperception folgeren, durch nichts gegeben, sondern wird daraus allererst gefolgert (und auf diese müßte, wenn es recht zuginge, allererst der Begriff der Substanz folgen, der allein empirisch brauchbar ist). Da nun diese Identität der Person aus der Identität des Ich in dem Bewußtsein aller Zeit, darin ich mich erkenne, keinesweges folgt, so hat auch oben die Substanzialität der Seele darauf nicht gegründet werden können.

Indessen kann so wie der Begriff der Substanz und des Einfachen, eben so auch der Begriff der Persönlichkeit (so fern er blos transscendental ist, d. i. Einheit des Subjects, das uns übrigens unbekannt ist, in dessen Bestimmungen aber eine durchgängige Verknüpfung durch Apperception ist) bleiben, und so fern ist dieser Begriff auch zum praktischen Gebrauche nöthig und hinreichend; aber auf ihn als Erweiterung unserer Selbsterkenntniß durch reine Vernunft, welche uns eine ununterbrochene Fortdauer des Subjects aus dem bloßen Begriffe des identischen Selbst vorspiegelt, können wir nimmermehr Staat machen, da dieser Begriff sich immer um sich selbst herumdreht und uns in Ansehung keiner einzigen Frage, welche auf synthetische Erkenntniß angelegt ist, weiter bringt. Was Materie für ein Ding an sich selbst (transscendentales Object) sei, ist uns zwar gänzlich unbekannt; gleichwohl kann doch die Beharrlichkeit derselben als Erscheinung, dieweil sie als etwas Äußerliches vorgestellt wird, beobachtet werden. Da ich aber, wenn ich das bloße Ich bei dem Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, kein ander Correlatum meiner Vergleichungen habe, als wiederum mich selbst mit den allgemeinen Bedingungen meines Bewußtseins, so kann ich keine andere als tautologische Beantwortungen auf alle Fragen geben: indem ich nämlich meinen Begriff und dessen Einheit den Eigenschaften, die mir selbst als Object zukommen, unterschiebe und das voraussetze, was man zu wissen verlangte.



* I. Kant: Gesammelte Schriften. Akademie Ausgabe. Bd. IV. Berlin 1904 (=A 361-367), S. 227-229.

[1] Eine elastische Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung stößt, theilt dieser ihre ganze Bewegung, mithin ihren ganzen Zustand (wenn man blos auf die Stellen im Raume sieht) mit. Nehmet nun nach der Analogie mit dergleichen Körpern Substanzen an, deren die eine der andern Vorstellungen sammt deren Bewußtsein einflößte, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand sammt dessen Bewußtsein der zweiten, diese ihren eigenen Zustand sammt dem der vorigen Substanz der dritten und diese eben so die Zustände aller vorigen sammt ihrem eigenen und deren Bewußtsein mittheilte. Die letzte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewußt sein, weil jene zusammt dem Bewußtsein in sie übertragen worden, und dem unerachtet würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen sein.

Letzte Aenderung: 11:14 11.10.2005

 
 
 

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