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III. Philosophischer Diskurs.

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte

<...> Die Handelnden haben in ihrer Tätigkeit endliche Zwecke, besondere Interessen, aber sie sind Wissende, Denkende. Der Inhalt ihrer Zwecke ist durchzogen mit allgemeinen, wesenhaften Bestimmungen des Rechts, des Guten, der Pflicht usf. Denn die bloße Begierde, die Wildheit und Roheit des Wollens fällt außerhalb des Theaters und der Sphäre der Weltgeschichte. Diese allgemeinen Bestimmungen, welche zugleich Richtlinien für die Zwecke und Handlungen sind, sind von bestimmtem Inhalte. Denn so etwas Leeres wie das Gute um des Guten willen hat überhaupt in der lebendigen Wirklichkeit nicht Platz. Wenn man handeln will, muß man nicht nur das Gute wollen, sondern man muß wissen, ob dieses oder jenes das Gute ist. Welcher Inhalt aber gut oder nicht gut, recht oder unrecht sei, dies ist für die gewöhnlichen Fälle des Privatlebens in den Gesetzen und Sitten eines Staats gegeben. Es hat keine große Schwierigkeit, das zu wissen. Jedes Individuum hat seinen Stand, es weiß, was rechtliche, ehrliche Handlungsweise überhaupt ist. Für die gewöhnlichen Privatverhältnisse, wenn man es da für so schwierig erklärt, das Rechte und Gute zu wählen, und wenn man für eine vorzügliche Moralität hält, darin viele Schwierigkeit zu finden und Skrupel zu machen, so ist dies vielmehr dem üblen oder bösen Willen zuzuschreiben, der Ausflüchte gegen seine Pflichten sucht, die zu kennen eben nicht schwer ist, oder wenigstens für ein Müßiggehen des reflektierenden Gemüts zu halten, dem sein kleinlicher Wille nicht viel zu tun gibt und das sich also sonst in sich zu tun macht und sich in der moralischen Wohlgefälligkeit ergeht. Ein anderes ist es in den großen geschichtlichen Verhältnissen. Hier ist es gerade, wo die großen Kollisionen zwischen den bestehenden, anerkannten Pflichten, Gesetzen und Rechten und den Möglichkeiten entstehen, welche diesem System entgegengesetzt sind, es verletzen, ja seine Grundlage und Wirklichkeit zerstören und zugleich einen Inhalt haben, der auch gut, im großen vorteilhaft, wesentlich und notwendig scheinen kann. Diese Möglichkeiten nun werden geschichtlich; sie schließen ein Allgemeines anderer Art in sich als das Allgemeine, das in dem Bestehen eines Volkes oder Staates die Basis ausmacht. Dies Allgemeine ist ein Moment der produzierenden Idee, ein Moment der nach sich selbst strebenden und treibenden Wahrheit. Die geschichtlichen Menschen, die welthistorischen Individuen sind diejenigen, in deren Zwecken ein solches Allgemeines liegt.

Cäsar in Gefahr, die Stellung, wenn auch etwa noch nicht des Übergewichts, doch wenigstens der Gleichheit, zu der er sich neben den anderen, die an der Spitze des Staates standen, erhoben hatte, zu verlieren und denen, die im Übergange sich befanden, seine Feinde zu werden, zu unterliegen, gehört wesentlich hierher. Diese Feinde, welche zugleich die Seite ihrer persönlichen Zwecke beabsichtigten, hatten die formelle Staatsverfassung und die Macht des rechtlichen Scheins für sich. Cäsar kämpfte im Interesse, sich seine Stellung, Ehre und Sicherheit zu erhalten, und der Sieg über seine Gegner, indem ihre Macht die Herrschaft über die Provinzen des Römischen Reichs war, wurde zugleich die Eroberung des ganzen Reichs: so wurde er mit Belassung der Form der Staatsverfassung der individuelle Gewalthaber im Staate. Was ihm so die Ausführung seines zunächst negativen Zwecks erwarb, die Alleinherrschaft Roms, war aber zugleich an sich notwendige Bestimmung in Roms und in der Welt Geschichte, so daß sie nicht nur sein partikulärer Gewinn, sondern ein Instinkt war, der das vollbrachte, was an und für sich an der Zeit war. Dies sind die großen Menschen in der Geschichte, deren eigene partikuläre Zwecke das Substantielle enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist. Sie sind insofern Heroen zu nennen, als sie ihre Zwecke und ihren Beruf nicht bloß aus dem ruhigen, geordneten, durch das bestehende System geheiligten Lauf der Dinge geschöpft haben, sondern aus einer Quelle, deren Inhalt verborgen und nicht zu einem gegenwärtigen Dasein gediehen ist, aus dem innern Geiste, der noch unterirdisch ist, der an die Außenwelt wie an die Schale pocht und sie sprengt, weil er ein anderer Kern als der Kern dieser Schale ist, - die also aus sich zu schöpfen scheinen und deren Taten einen Zustand und Weltverhältnisse hervorgebracht haben, welche nur ihre Sache und ihr Werk zu sein scheinen.

Solche Individuen hatten in diesen ihren Zwecken nicht das Bewußtsein der Idee überhaupt, sondern sie waren praktische und politische Menschen. Aber zugleich waren sie denkende, die die Einsicht hatten von dem, was not und was an der Zeit ist. Das ist eben die Wahrheit ihrer Zeit und ihrer Welt, sozusagen die nächste Gattung, die im Innern bereits vorhanden war. Ihre Sache war es, dies Allgemeine, die notwendige, nächste Stufe ihrer Welt zu wissen, diese sich zum Zwecke zu machen und ihre Energie in dieselbe zu legen. Die welthistorischen Menschen, die Heroen einer Zeit, sind darum als die Einsichtigen anzuerkennen; ihre Handlungen, ihre Reden sind das Beste der Zeit. Große Menschen haben gewollt, um sich, nicht um andere zu befriedigen. Was sie von anderen erfahren hätten an wohlgemeinten Absichten und Ratschlägen, das wäre vielmehr das Borniertere und Schiefere gewesen, denn sie sind die, die es am besten verstanden haben und von denen es dann vielmehr alle gelernt und gut gefunden oder sich wenigstens darein gefügt haben. Denn der weitergeschrittene Geist ist die innerliche Seele aller Individuen, aber die bewußtlose Innerlichkeit, welche ihnen die großen Männer zum Bewußtsein bringen. Deshalb folgen die anderen diesen Seelenführern, denn sie fühlen die unwiderstehliche Gewalt ihres eigenen inneren Geistes, der ihnen entgegentritt.

Werfen wir weiter einen Blick auf das Schicksal dieser welthistorischen Individuen, welche den Beruf hatten, die Geschäftsführer des Weltgeistes zu sein, so ist es kein glückliches gewesen. Zum ruhigen Genusse kamen sie nicht, ihr ganzes Leben war Arbeit und Mühe, ihre ganze Natur war nur ihre Leidenschaft. Ist der Zweck erreicht, so fallen sie, die leeren Hülsen des Kernes, ab. Sie sterben früh wie Alexander, sie werden wie Cäsar ermordet, wie Napoleon nach St. Helena transportiert. Diesen schauderhaften Trost, daß die geschichtlichen Menschen nicht das gewesen sind, was man glücklich nennt und dessen das Privatleben, das unter sehr verschiedenen, äußerlichen Umständen stattfinden kann, nur fähig ist - diesen Trost können die sich aus der Geschichte nehmen, die dessen bedürftig sind. Bedürftig aber desselben ist der Neid, den das Große, Emporragende verdrießt, der sich bestrebt, es klein zu machen und einen Schaden an ihm zu finden. So ist es auch in neueren Zeiten zur Genüge demonstriert worden, daß die Fürsten überhaupt auf ihrem Throne nicht glücklich seien, daher man denselben ihnen dann gönnt und es erträglich findet, daß man nicht selbst, sondern sie auf dem Throne sitzen. Der freie Mensch ist nicht neidisch, sondern anerkennt das gern, was groß und erhaben ist, und freut sich, daß es ist.

Nach diesen allgemeinen Momenten also, welche das Interesse und damit die Leidenschaften der Individuen ausmachen, sind diese geschichtlichen Menschen zu betrachten. Es sind große Menschen, eben weil sie ein Großes, und zwar nicht ein Eingebildetes, Vermeintes, sondern ein Richtiges und Notwendiges gewollt und vollbracht haben. Diese Betrachtungsweise schließt auch die sogenannte psychologische Betrachtung aus, welche, dem Neide am besten dienend, alle Handlungen ins Herz hinein so zu erklären und in die subjektive Gestalt zu bringen weiß, daß ihre Urheber alles aus irgendeiner kleinen oder großen Leidenschaft, aus einer Sucht getan haben und, um dieser Leidenschaft und Suchten willen, keine moralischen Menschen gewesen seien. Alexander von Makedonien hat zum Teil Griechenland, dann Asien erobert, also ist er eroberungssüchtig gewesen. Er hat aus Ruhmsucht, Eroberungssucht gehandelt, und der Beweis, daß sie ihn getrieben haben, ist, daß er solches, das Ruhm brachte, getan habe. Welcher Schulmeister hat nicht von Alexander dem Großen, von Julius Cäsar vordemonstriert, daß diese Menschen von solchen Leidenschaften getrieben und daher unmoralische Menschen gewesen seien? woraus sogleich folgt, daß er, der Schulmeister, ein vortrefflicherer Mensch sei als jene, weil er solche Leidenschaften nicht besitze und den Beweis dadurch gebe, daß er Asien nicht erobere, den Darius, Poros nicht besiege, sondern freilich wohl lebe, aber auch leben lasse. - Diese Psychologen hängen sich dann vornehmlich auch an die Betrachtung von den Partikularitäten der großen, historischen Figuren, welche ihnen als Privatpersonen zukommen. Der Mensch muß essen und trinken, stehe in Beziehung zu Freunden und Bekannten, hat Empfindungen und Aufwallungen des Augenblicks. Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden, ist ein bekanntes Sprichwort; ich habe hinzugesetzt - und Goethe hat es zehn Jahre später wiederholt -, nicht aber darum, weil dieser kein Held, sondern weil jener der Kammerdiener ist. Dieser zieht dem Helden die Stiefel aus, hilft ihm zu Bette, weiß, daß er lieber Champagner trinke usf. - Die geschichtlichen Personen, von solchen psychologischen Kammerdienern in der Geschichtsschreibung bedient, kommen schlecht weg; sie werden von diesen ihren Kammerdienern nivelliert, auf gleiche Linie oder vielmehr ein paar Stufen unter die Moralität solcher feinen Menschenkenner gestellt. Der Thersites des Homer, der die Könige tadelt, ist eine stehende Figur aller Zeiten. Schläge, d. h. Prügel mit einem soliden Stabe, bekommt er zwar nicht zu allen Zeiten, wie in den homerischen, aber sein Neid, seine Eigensinnigkeit ist der Pfahl, den er im Fleische trägt, und der unsterbliche Wurm, der ihn nagt, ist die Qual, daß seine vortrefflichen Absichten und Tadeleien in der Welt doch ganz erfolglos bleiben. Man kann auch eine Schadenfreude am Schicksal des Thersitismus haben.

Ein welthistorisches Individuum hat nicht die Nüchternheit, dies und jenes zu wollen, viel Rücksichten zu nehmen, sondern es gehört ganz rücksichtslos dem einen Zwecke an. So ist es auch der Fall, daß sie andere große, ja heilige Interessen leichtsinnig behandeln, welches Benehmen sich freilich dem moralischen Tadel unterwirft. Aber solche große Gestalt muß manche unschuldige Blume zertreten, manches zertrümmern auf ihrem Wege.

Das besondere Interesse der Leidenschaft ist also unzertrennlich von der Betätigung des Allgemeinen; denn es ist aus dem Besonderen und Bestimmten und aus dessen Negation, daß das Allgemeine resultiert. Es ist das Besondere, das sich aneinander abkämpft und wovon ein Teil zugrunde gerichtet wird. Nicht die allgemeine Idee ist es, welche sich in Gegensatz und Kampf, welche sich in Gefahr begibt; sie hält sich unangegriffen und unbeschädigt im Hintergrund. Das ist die List der Vernunft zu nennen, daß sie die Leidenschaften für sich wirken läßt, wobei das, durch was sie sich in Existenz setzt, einbüßt und Schaden leidet. Denn es ist die Erscheinung, von der ein Teil nichtig, ein Teil affirmativ ist. Das Partikuläre ist meistens zu gering gegen das Allgemeine, die Individuen werden aufgeopfert und preisgegeben. Die Idee bezahlt den Tribut des Daseins und der Vergänglichkeit nicht aus sich, sondern aus den Leidenschaften der Individuen.

(G.W.F. Hegel: Gesammelte Schriften. Bd. 12, S. 46-48)

Letzte Aenderung: 22:56 1.10.2005

 
 
 

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