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III. Philosophischer Diskurs.

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Gottfried Wilhelm Leibniz. Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand

(1703-1704)

Kapitel XXVII.[1]

Was Identität und Verschiedenheit ist

 

§ 1. Philalethes. Eine der wichtigsten relativen Vorstellungen ist die der Identität und der Verschiedenheit. Wir finden niemals und können nicht als möglich begreifen, daß zwei Dinge derselben Art zu gleicher Zeit an demselben Orte seien. Wenn wir deshalb fragen, ob etwas dasselbe ist oder nicht, so bezieht sich dies immer auf etwas, was in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Orte ist; woraus folgt, daß hinsichtlich der Zeit und des Ortes etwas nicht zwei Anfänge der Existenz, noch zweierlei einen einzigen Anfang haben kann.

Theophilus. Außer der Verschiedenheit von Zeit und Ort ist immer das Vorhandensein eines inneren Prinzips der Unterscheidung vonnöten, und obwohl es mehrere Dinge derselben Art gibt, bleibt es dennoch wahr, daß es niemals zwei vollkommen gleiche gibt; obgleich also Zeit und Ort (d.h. die Beziehung nach außen) uns dazu dienen, die Dinge zu unterscheiden, die wir für sich selbst nicht gut unterscheiden, so sind die Sachen darum doch an und für sich unterscheidbar. Das eigentliche Wesen der Identität und der Verschiedenheit besteht also nicht in der Zeit und dem Orte, obgleich die Verschiedenheit der Dinge allerdings von der der Zeit oder des Ortes begleitet ist, weil sie verschiedene Eindrücke über die Sache mit sich bringen, um nicht zu sagen, daß man vielmehr eine Zeit oder einen Ort von einem anderen durch die Dinge unterscheiden muß, denn an sich selbst sind sie vollkommen gleich, aber doch sind sie nicht vollständige Substanzen oder Realitäten. Die Unterscheidungsart, welche Sie hier als die bei den Dingen derselben Art einzige vorzuschlagen scheinen, ist auf jene Voraussetzung begründet, daß die Durchdringlichkeit nicht der Natur entspreche. Diese Voraussetzung ist vernunftgemäß, aber sogar die Erfahrung zeigt, daß man hier nicht daran gebunden ist, wo es sich um die Unterscheidung handelt. Wir sehen z.B. zwei Schatten oder zwei Lichtstrahlen, die einander durchdringen, und könnten uns eine Phantasiewelt, wo die Körper es ebenso machten, ausdenken. Indessen unterscheiden wir dennoch einen Strahl von dem anderen, selbst dann, wenn sie sich kreuzen, gerade durch die Verfolgung ihres Weges.

§ 3. Philalethes. Das, was man in den Schulen Prinzip der Individuation nennt, wo man sich so viel quält zu erfahren, was es sei, besteht in dem Dasein selbst, welches jedes Wesen zu einer besonderen Zeit an einen bestimmten Ort setzt, der zweien Wesen derselben Art nicht gemeinsam sein kann.

Theophilus. Das Prinzip der Individuation kommt in den Individuen auf das Prinzip der Unterscheidung zurück, wovon ich eben gesprochen habe. Wenn zwei Individuen vollkommen ähnlich und gleich und mit einem Worte an sich selbst ununterscheidbar wären, so würde es kein Prinzip der Individuation geben; und ich wage selbst zu behaupten, daß es unter dieser Bedingung keine individuelle Unterscheidung oder verschiedene Individuen geben würde. Darum ist der Begriff der Atome schimärisch und stammt nur aus den unvollständige Vorstellungen der Menschen. Denn wenn es Atome d.h. vollkommen harte und vollkommen unveränderliche oder zu innerem Wechsel unfähige und nur an Größe und Gestalt voneinander verschiedene Körper gäbe, so würde es offenbar bei der Möglichkeit, daß sie von gleicher Gestalt und Größe sind, dann unter ihnen solche geben, welche, an sich ununterscheidbar, nur durch äußere Bezeichnungen ohne inneren Grund voneinander getrennt werden könnten, was den wichtigsten Vernunftgrundsätzen zuwiderläuft. In Wahrheit ist aber jeder Körper veränderlich und wird sogar stets wirklich verändert, dergestalt, daß er an sich selbst von jedem anderen sich unterscheidet. Ich erinnere mich, daß eine geistvolle hohe Fürstin einmal auf einem Spaziergange in ihrem Garten sagte, sie glaube nicht, daß es zwei vollkommen gleiche Blätter gäbe. Ein gescheiter Edelmann, welcher den Spaziergang mitmachte, glaubte, es sei leicht, solche zu finden, aber obschon er viel danach suchte, mußte er sich durch seine eigenen Augen überzeugen, daß man stets dabei Verschiedenheit bemerken konnte. Man sieht aus diesen bisher vernachlässigten Betrachtungen, wie sehr man sich in der Philosophie von den natürlichsten Begriffen entfernt hat und wie sehr man von den wichtigsten Prinzipien der wahren Metaphysik fern ist.

§ 4. Philalethes. Die Einheit einer und derselben Pflanze besteht darin, eine solche Organisation von Teilen in einem einzelnen an einem gemeinsamen Leben teilnehmenden Körper zu haben, daß sie so lange dauert, als die Pflanze, wenn sie in ihren Teilen sich auch ändert, bestehen bleibt.

Theophilus. Die Organisation oder Ausgestaltung ohne ein subsistierendes Lebensprinzip, welches ich Monade nenne, würde nicht genügen, um ein idem numero (der Zahl nach eins) oder dasselbe Individuum beharren zu machen; denn die Ausgestaltung kann auf spezifische Art beharren, ohne auf individuelle Art zu beharren. Wenn sich ein Hufeisen in einem bestimmten Mineralwasser Ungarns in Kupfer verhandelt, so bleibt dieselbe Gestalt der Art nach, nicht aber bleibt dasselbe dem Individuum nach, denn das Eisen löst sich auf, und das Kupfer, mit dem das Wasser geschwängert ist, schlägt sich nieder und tritt unmerklich an seinen Platz. Nun ist die Gestalt nur ein Akzidenz, welches nicht von einem Subjekt zum anderen (de subjecto in subjectum) übergeht. Man muß also sagen, daß die organisierten Körper ebensogut wie die übrigen nur der Erscheinung nach beharren und nicht, wenn man es mit dem Ausdruck streng nimmt. Es ist das wie mit einem Fluß, dessen Nasser stets wechselt, oder wie mit dem Fahrzeug des Wesens, welches die Athener stets erneuerten. Was aber die Substanzen anbetrifft, die in sich selbst eine wahrhafte und wirkliche substantielle Einheit besitzen, der die eigentlich sogenannten Lebensverrichtungen zukommen können, und was die substantiellen Wesen betrifft, quae uno spiritu continentur (die von einem Geiste zusammengehalten werden), wie sich ein alter Rechtslehrer ausdrückt, d.h. welche ein gewisser unteilbarer Geist bereit, so hat man das Recht zu behaupten, daß sie vermittels dieser Seele oder dieses Geistes, welcher in den Seelen, die denken, das Ich ausmacht, vollständig dasselbe Individuum bleiben.

§ 5. Philalethes. Bei den Tieren und Pflanzen ist der Fall kein besonders davon verschiedener.

Theophilus. Wenn die Pflanzen und die Tiere keine Seele haben, so ist ihre Identität nur scheinbare sie haben aber eine solcher die individuelle Einheit findet ganz streng genommen bei ihnen wirklich statt, obgleich ihre organischen Körper dieselbe nicht behalten.

§ 6. Philalethes. Dies zeigt auch, worin die Identität eines und desselben Menschen besteht, nämlich allein darin, daß er das nämliche durch die materiellen Teilchen fortgesetzte Leben genießt, welche in einem fortwährenden Flusse begriffen, aber in dieser Aufeinanderfolge denselben organisierten Körper auf eine zu dessen Leben dienende Art verknüpft sind.

Theophilus. Das läßt sich auch in meinem Sinne verstehen. In der Tat ist der organisierte Körper länger als einen Augenblick nicht derselbe; er behält nur gleiche Geltung. Und wenn man die Seele nicht berücksichtigt, so findet auch nicht mehr dasselbe Leben und ebensowenig dieselbe Lebenseinheit statt. Diese Identität würde also nur eine scheinbare sein.

Philalethes. Wer die Identität des Menschen in etwas anderem sucht, als in einem zu einem bestimmten Moment wohlorganisierten Körper, welcher fortan in dieser Lebensorganisation durch eine Aufeinanderfolge verschiedener mit ihm verbundener Teilchen der Materie fortdauert, wird es schwerlich durchführen können, daß ein Embryo und ein Erwachsener, ein Wahnsinniger und ein Weiser derselbe Mensch sind, ohne daß übrigens aus dieser Voraussetzung die Möglichkeit fließt, daß Seth, Ismael, Sokrates, Pilatus, St. Augustin ein und derselbe Mensch seien. Dies würde sich noch schlechter mit den Begriffen derjenigen Philosophen vertragen, welche die Seelenwanderung anerkannten und da glaubten, daß die Seelen der Menschen zur Strafe ihrer Übertretungen in Tierleiber gebannt werden können; denn ich glaube nicht, daß jemand, der überzeugt wäre, daß die Seele Heliogabals in einem Schweine fortlebte, behaupten würde, daß dies Schwein ein Mensch und derselbe Mensch wie Heliogabal sei.

Theophilus. Es handelt sich dabei um eine Untersuchung des Wortes und um eine der Sache. Was die der Sache anbetrifft, so kann die Identität derselben individuellen Substanz nur durch die Fortdauer derselben Seele aufrechterhalten werden, denn der Körper ist in einem beständigen Fluß, und die Seele wohnt nicht in bestimmten ihr zugewiesenen Atomen noch in einem kleinen unverweslichen Gebein, wie im sogenannten Luz der Rabbiner. Indessen gibt es keine Seelenwanderung, mittels deren die Seele ihren Körper gänzlich verläßt und in einen anderen übergeht. Sie behält immer, selbst im Tode, einen organisierten Leib, einen Teil des früheren, obgleich das, was sie behält, stets unmerklicher Zerstreuung und Wiederherstellung und selbst großer zu gewisser Zeit zu erleidender Veränderung unterworfen ist. So findet also statt einer Seelenwanderung Wandelung, Einhüllung oder Entwickelung und endlich ein fließen des Körpers dieser Seele statt. Der jüngere van Helmont glaubte, daß die Seelen von Körper zu Körper, aber immer in ihrer Art bleibend, wandern, so daß es immer dieselbe Zahl von Seelen derselben Art und folglich dieselbe Zahl Menschen und Wölfe gibt, und daß die Wölfe, wenn sie in England vermindert und vernichtet werden, sich entsprechend anderswo vermehren müßten. Gewisse in Frankreich veröffentlichte Betrachtungen scheinen eben dahin zu gehen. Wenn die Seelenwanderung nicht im strengen Sinne genommen wird, d.h. wenn jemand glaubte, daß die in demselben feinen Körper bleibenden Seelen nur den gröberen Körper wechseln, so würde sie möglich sein, sogar bis zum Übergänge derselben Seele in einen Körper anderer Art, wie die Ansicht der Brahmanen und der Pythagoreer ist. Aber alles, was möglich ist, ist darum nicht der Ordnung der Dinge entsprechend. Indessen die Frage, ob im Falle, daß eine solche Seelenwanderung wirklich stattfände, Kain, Ham und Ismael vorausgesetzt, daß sie nach der Lehre der Rabbiner dieselbe Seele hätten derselbe Mensch genannt zu werden verdienten, beträfe nur einen Wortstreite und ich habe bemerkt, daß der berühmte Schriftsteller, dessen Ansichten Sie aufrechterhalten haben, dies anerkennt und sehr gut erklärt (im letzten Paragraphen dieses Kapitels). Die Identität der Substanz würde dann stattfinden, aber im Falle, daß kein Zusammenhang der Erinnerung unter den verschiedenen Persönlichkeiten stattfände, welche von derselben Seele gebildet würden, würde auch nicht soviel moralische Identität dabei stattfinden, um zu sagen, es sei dieselbe Person. Und wenn Gott wollte, daß die menschliche Seele in den Leib eines Schweines führe, des Menschen vergessend und vernünftige Handlungen nicht ausübend, so würde sie nicht einen Menschen ausmachen. Wenn sie aber in dem Tierleib die Gedanken eines Menschen hätte und zwar desjenigen Menschen, den sie vor der Veränderung beseelte, wie der goldene Esel des Apulejus, so würde man vielleicht keine Schwierigkeit machen zu sagen, daß derselbe Lucius, der seine Freunde zu besuchen nach Thessalien gekommen war, unter der Haut des Esels, wohin ihn Photis, ohne es zu wollen, gebannt hatte, derselbe blieb und von einem Herrn zum andern wanderte, bis daß die verzehrten Rosen ihm seine natürliche Gestalt wiedergaben.

§ 8. Philalethes. Ich glaube dreist behaupten zu können, daß, wer von uns ein Geschöpf sähe, wie er selbst gemacht und gestaltet, wenn dies auch niemals mehr Vernunft zeigte als eine Katze oder ein Papagei, darum nicht unterlassen würde, es Mensch zu nennen, oder wenn er einen Papageien vernünftig und philosophisch sprechen hörte, würde er ihn doch nur einen Papageien nennen und dafür halten; er würde vom ersteren dieser Wesen sagen, es sei ein einfältiger, stumpfer und von Vernunft verlassener Mensch, und von letzterem, daß es ein geistvoller und gescheiter Papagei sei.

Theophilus. Ich würde über den zweiten Punkt eher derselben Meinung sein, als über den ersten, obgleich sich darüber noch etwas sagen läßt. Wenige Theologen würden kühn genug sein, ein Wesen von menschlicher Gestalt, aber ohne bemerkbare Vernunft, sofort und unbedingt zur Taufe zuzulassen, wenn man es im Walde fände, und ein katholischer Priester würde vielleicht mit Hinzufügung einer Bedingung sagen: wenn du ein Mensch bist, so taufe ich dich, denn man würde nicht wissen, ob es von menschlichem Geschlecht wäre und eine vernünftige Seele in ihm wohnte; es könnte ein Orang-Utang sein, jener dem menschlichen Äußeren so nahekommende Affe, solch einer, wie derjenige, von dem Tulpius redet, der ihn gesehen hat, und solch einer, wie derjenige, dessen Anatomie ein gelehrter Arzt veröffentlicht hat. Ich gebe allerdings zu, daß der Mensch sicherlich so dumm werden kann wie ein Orang-Utan, aber das Innere der vernünftigen Seele würde in ihm bleiben trotz der einstweiligen Aufhebung des Vernunftgebrauches, wie ich das oben erläutert habe: das also ist der Punkt, wo man nicht nach dem äußeren Scheine urteilen darf. Was den zweiten Fall angeht, so hindert nichts, daß es vernünftige Tiere einer von der unserigen verschiedenen Art gebe, wie jene Bewohner des poetischen Vogelreichs in der Sonne, wo ein aus dieser Welt nach seinem Tode hingekommener Papagei dem Reisenden das Leben rettete, der ihm hienieden wohlgetan hatte. Wenn es sich indessen zutrüge, wie im Lande der Feen und meiner Mutter Gans sich zuträgt, daß ein Papagei eine verwandelte Prinzessin wäre und sich durch die Sprache als solche zu erkennen gäbe, so würden ohne Zweifel Vater und Mutter ihn als ihre Tochter liebkosen, indem sie sie zu haben glaubten, wenngleich sie unter dieser fremdartigen Gestalt versteckt wäre. Gleichwohl würde ich mich demjenigen nicht widersetzen, welcher sagte, daß in dem goldenen Esel, wie das Selbst oder Individuum wegen der Einheit immateriellen Geistes, so Lucius oder die Person wegen des Bewußtseins dieses Ich geblieben, aber daß dies nicht mehr ein Mensch sei, wie es in der Tat scheint, daß man der Definition des Menschen etwas von der Gestalt und Körperbildung hinzufügen muß, wenn man sagt, es sei ein vernünftiges lebendiges Wesen; sonst würden meiner Ansicht nach auch die Geister Menschen sein.

§ 9. Philalethes. Das Wort Person bedeutet ein denkendes und vernünftiges, der Vernunft und Religion fähiges Wesen, welches sich selbst als ein Selbiges, als dasselbe Wesen betrachten kann, das zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Grien denkt: dies geschieht einzig und allein durch das Bewußtsein seiner eigenen Handlungen. Und diese Erkenntnis begleitet immer unsere sinnlichen Empfindungen und gegenwärtigen Wahrnehmungen, wenn sie deutlich genug sind, wie ich schon vorhin mehr als einmal bemerkt habe; und aus diesem Grunde ist jeder für sich selbst das, was er das eigene Ich nennt. Man zieht bei dieser Gelegenheit nicht in Betracht, ob dasselbe Ich in derselben Substanz oder in verschiedenen Substanzen sich fortsetzt, denn da das Bewußtsein (consciousness oder Konsciosität) das Denken immer begleitet, und darin die Ursache liegt, daß jeder das ist, was er sein eigenes Ich nennt und wodurch er sich von jedem anderen denkenden Dinge unterscheidet, so besteht darin auch allein die persönliche Identität oder das, wodurch ein vernünftiges Wesen immer dasselbe ist, und so weit dies Bewußtsein sich auf die schon vergangenen Handlungen oder Gedanken erstrecken kann, so weit erstreckt sich die Identität dieser Person, und das Ich ist jetzt dasselbe, welches es damals war.

Theophilus. Auch ich bin dieser Meinung, daß die Konsciosität oder das Selbstbewußtsein eine moralische persönliche Identität beweist. Und hierin unterscheide ich das Nichtaufhören einer Tierseele von der Unsterblichkeit der Menschenseele: die eine wie die andere behält die physische und wirkliche Identität, aber was den Menschen anbetrifft, so bewahrt gemäß den Regeln der göttlichen Vorsehung dessen Seele gewiß noch die moralische Identität, die uns selbst als solche erscheint, um dieselbe Persönlichkeit zu bilden, welche folglich die Strafen und Belohnungen zu empfinden fähig ist. Sie scheinen anzunehmen, daß diese erscheinende Identität bewahrt bleiben kann, wenn es keine wirkliche geben sollte. Ich möchte glauben, daß dies vielleicht durch die Allmacht Gottes geschehen kann, aber nach der Ordnung der Dinge setzt die der Person, welche sich als dieselbe empfindet selbst erscheinende Identität die wirkliche Identität bei jedem nächsten Übergang, der von Reflexion und Selbstgefühl begleitet wird, voraus, da eine so innerliche, unmittelbare Wahrnehmung von Natur nicht täuschen kann. Könnte der Mensch nur Maschine sein und dabei Konsciosität haben, so müßte man Ihrer Ansicht sein, aber ich behaupte, daß dieser Fall wenigstens auf natürliche Weise nicht möglich ist. Ebensowenig möchte ich auch sagen, daß die persönliche Identität und selbst das Ich uns nicht bleiben, und daß ich nicht dieses Ich bin, das ich in der Wiege gewesen bin, unter dem Vorwand, daß ich mich alles dessen, was ich damals getan habe, nicht mehr erinnere. Um die moralische Identität durch sich selbst zu finden, genügt es, daß ein mittlerer Zusammenhang des Bewußtseins eines benachbarten oder selbst eines etwas entfernten Zustandes, wenn ein vergessener Sprung oder Zwischenraum dabei unterläuft, mit dem anderen stattfindet. Wenn z.B. eine Krankheit eine Unterbrechung in dem Zusammenhang der Verbindung des Bewußtseins herbeigeführt hätte, so daß ich nicht wüßte, wie ich in den gegenwärtigen Zustand gelangt bin, obschon ich mich noch entfernterer Dinge erinnere, könnte das Zeugnis der anderen die Lücke meiner Wiedererinnerung ausfüllen. Man könnte auf dieses Zeugnis hin mich selbst strafen, wenn ich in einer Zwischenzeit etwas absichtlich gedachtes Böses getan, was ich kurz darauf durch jene Krankheit vergessen hätte. Und wenn ich alles Vergangene vergessen hätte, so daß ich gezwungen wäre, es mich von neuem lehren zu lassen bis auf meinen Namen und bis aufs Lesen und Schreiben, so könnte ich immerhin von den anderen mein vergangenes Leben in meinem früheren Zustand erfahren, wie meine Rechte mir bewahrt bleiben, ohne daß ich mich in zwei Personen zu teilen und mich zu meinem eigenen Erben zu machen nötig habe. Alles das genügt, die moralische Identität aufrecht zu erhalten, welche dieselbe Person ausmacht. Wenn sich die anderen verschwören wollten mich zu täuschen, wie ich sogar selbst getäuscht werden kann, durch irgend eine Vision, einen Traum oder eine Krankheit, wenn ich glaube, daß das, was ich geträumt habe, mir wirklich widerfahren sei, so würde der Schein allerdings falsch sein; aber es gibt Fälle, wo man der Wahrheit in Umsicht auf einen anderen moralisch sicher sein kann, und bei Gott, mit dem verknüpft zu sein den Hauptpunkt der Moralität für uns ausmacht, kann der Irrtum nicht statthaben. Was das Ich anbetrifft, so wird es gut sein, zwischen dessen Erscheinung und dem Bewußtseinszustand zu unterscheiden. Das Ich macht die reale und physische Identität, und die von Wahrheit begleitete Erscheinung des Ich fügt die persönliche Identität hinzu. Will ich also nicht sagen, daß die persönliche Identität sich nicht weiter erstreckt als die Erinnerung, so werde ich noch weniger sagen können, daß das Ich oder die physische Identität davon abhängig ist. Die reale und persönliche Identität läßt sich auf die bei tatsächlichen Dingen möglich sicherste Weise durch die gegenwärtige unmittelbare Reflexion beweisen; sie läßt sich für gewöhnlich hinlänglich durch unsere Erinnerung an die Zwischenzeit oder durch das übereinstimmende Zeugnis der anderen beweisen. Wenn aber Gott auf außerordentliche Weise die reale Identität veränderte, so würde die persönliche bleiben, falls der Mensch die Erscheinungen der Identität bewahrte, sowohl die inneren (d.h. des Bewußtseins) als die äußeren, sowie die, welche in dem den anderen Erscheinenden bestehen. So ist das Bewußtsein nicht das einzige Mittel, die persönliche Identität zu bilden, und das Verhältnis zu den anderen oder selbst andere Zeichen können dafür eintreten. Schwierigkeit entsteht aber, wenn unter diesen verschiedenen Erscheinungen sich Widerspruch findet. Das Bewußtsein kann schweigen wie beim Vergessen, wenn es aber ganz deutlich Dinge sagte, die den übrigen Erscheinungen zuwider wären, so würde man bei der Entscheidung in Verlegenheit und mitunter zwischen zwei Möglichkeiten gleichsam in der Schwebe sein, der des Irrens in unserem Gedächtnis und der irgend einer Täuschung in den äußeren Erscheinungen.

§ 11. Philalethes. Man wird sagen, daß die Gliedmaßen des Körpers eines jeden Menschen ein Teil von ihm sind, und der Mensch also, da der Körper sich in einem beständigen Fluß beendet, nicht derselbe bleiben kann.

Theophilus. Ich würde lieber sagen, daß das Ich und das Er ohne Teile sind, weil man sagt und zwar mit Recht, daß dieselbe Substanz oder dasselbe physische Ich sich wirklich erhält. Man kann aber nicht sagen, wenn man der genauen Wahrheit der Dinge gemäß redet, daß dasselbe Ganze sich erhält, wenn ein Teil zugrunde geht. Was also körperliche Teile hat, kann nicht umhin, in jedem Augenblick deren zu verlieren.

§ 13. Philalethes. Das Bewußtsein der früheren Handlungen kann nicht von einer denkenden Substanz auf die andere übertragen werden, und es wäre gewiß, daß dieselbe Substanz bleibt, da wir uns als dieselben empfinden, wenn dies Bewußtsein eine einzige und selbige individuelle Handlung wäre, d.h. wenn die Handlung des Reflektierens dieselbe wäre, wie die Handlung, über welche man, indem man sich ihrer bewußt wird, reflektiert. Aber da sie nur eine tatsächliche Darstellung einer früheren Handlung ist, so bleibt noch die Unmöglichkeit zu beweisen, daß das, was niemals stattgefunden hat, sich dem Geiste so darstellen könne, als ob es wirklich stattgefunden hätte.

Theophilus. Eine Erinnerung an einen der Vergangenheit angehörigen Zwischenfall kann täuschen; man erfährt dies oft und kann sich einen natürlichen Grund dieses Irrtums denken. Aber die gegenwärtige und unmittelbare Erinnerung oder die Erinnerung dessen, was sich soeben erst zugetragen hat, d.h. das Bewußtsein oder die Reflexion, welche die innere Tätigkeit begleitet, kann von Natur nicht täuschen, sonst würde man selbst nicht sicher sein, daß man dies oder jenes denkt, denn man sagt sich dies innerlich auch nur von der vergangenen Handlung und nicht bei der Handlung selbst. Wenn die inneren, unmittelbaren Erfahrungen nicht gewiß sein sollen, so gibt es gar keine tatsächliche Wahrheit, deren man versichert sein könnte. Und ich habe schon gesagt daß es von dem Irrtum, welcher bei den mittelbaren und äußeren Wahrnehmungen begangen wird, eine verständliche Ursache gibt, daß man aber in den inneren, unmittelbaren Wahrnehmungen keine solche finden kann, man müßte denn auf die göttliche Allmacht zurückgehen.

§ 14. Philalethes. Was die Frage betritt, ob es beim Fortbestehen derselben unkörperlichen Substanz zwei verschiedene Personen in ihr geben könne, so gründet sie sich auf Folgendes nämlich, ob dasselbe immaterielle Wesen jedweder Empfindung seines früheren Daseins beraubt werden und sie gänzlich einbüßen kann, ohne sie jemals wiedererlangen zu können, dergestalt, daß es beim Anfing sozusagen einer neuen Rechnung seit einer neuen Lebensperiode ein Bewußtsein hat, das sich über diesen neuen Zustand nicht hinaus erstrecken hann. Alle diejenigen, welche an die Präexistenz der Seele glauben, folgen augenscheinlich diesem Gedanken. Ich habe einen Menschen gesehen, der überzeugt war, daß seine Seele die des Sokrates gewesen war und ich kann versichern, daß er in dem Posten, welchen er bekleidete und der von keiner geringen Bedeutung war, für einen sehr verständigen Mann gegolten hat und durch die von ihm herausgegebenen Werke zeigte, daß es ihm weder an Geist noch an Wissen fehlte. Sind also die Seelen hinsichtlich irgend eines Teiles der Materie, soweit wir es aus ihrem Wesen erkennen können, gleichgültig, so schließt jene Voraussetzung, daß eine und dieselbe Seele in verschiedene Leiber eingeht, keinen Widersinn, wie es scheint, in sich. Derjenige indessen, welcher gegenwärtig keine Empfindung von irgend etwas, das Nestor oder Sokrates jemals getan oder gedacht haben, hat, begreift er oder kann er denken, er sei dieselbe Person wie Nestor oder Sokrates? Kann er an den Handlungen dieser beiden alten Griechen teilnehmen? Kann er sie sich zuschreiben oder denken, daß sie eher seine eigenen Handlungen seien, als die irgend eines anderen Menschen, der schon dagewesen ist? Er ist nicht mehr dieselbe Person, wie einer von ihnen, als wenn die gegenwärtig in ihm lebende Seele damals geschaffen worden wäre, als sie den Körper, welchen sie gegenwärtig innehat, zu beleben anfing. Dies würde nicht mehr dazu beitragen, ihn zu derselben Person, wie Nestor, zu machen, als wenn einige Teilchen der Materie, die einmal am Nestor teilhatten, gegenwärtig einen Teil dieses Menschen bildeten. Denn dieselbe körperliche Substanz ohne das nämliche Bewußtsein macht nicht mehr dieselbe Person aus, um mit diesem oder jenem Körper vereint zu werden, als dieselben Teilchen der Materie, die zu irgend einem Körper ohne gemeinsames Bewußtsein verbunden sind, dieselbe Person ausmachen können.

Theophilus. Ein körperloses Wesen oder ein Geist kann nicht jeder Wahrnehmung seines früheren Auslandes beraubt werden. Es bleiben ihm Eindrücke von allem dem, was ihm einstmals begegnet ist, und er hat sogar Vorempfindungen von allem dem, was ihm widerfahren wird: aber diese Empfindungen sind sehr häufig zu gering, um vernehmlich zu sein und um ihrer bewußt werden zu können, obwohl sie sich vielleicht einmal entwickeln mögen. Diese Fortsetzung und Verknüpfung von Wahrnehmungen macht dasselbe Individuum in Wirklichkeit aus, aber die Bewußtseinsakte, d.h. wenn man sich der früheren Empfindungen bewußt ist, beweisen noch die moralische Identität und lassen die wirkliche erscheinen. Die Präexistenz der Seelen tritt nicht durch unsere Wahrnehmungen in die Erscheinung, aber wenn sie in der Wahrheit begründet wäre, so könnte sie dereinst erkannt werden. Es ist also nicht der Vernunft gemäß, daß die Wiederherstellung des Gedächtnisses auf immer unmöglich werde, da die unmerklichen Wahrnehmungen, deren Nutzen ich bei so viel anderen wichtigen Gelegenheiten schon gezeigt habe, auch hier dazu dienen, die Keime davon zu bewahren. Der verstorbene Henry Morus, Theolog der englischen Kirche, war von der Präexistenz überzeugt und hat sie literarisch verteidigt. Der verstorbene van Helmont Sohn ging noch weiter, wie ich eben gesagt habe, und glaubte an die Seelenwanderung, aber immer in die Körper derselben Gattung, so daß nach seiner Meinung die menschliche Seele immer einen Menschen beseelte. Er glaubte mit einigen Rabbinern an den Übergang der Seele Adams in den Messias als in den neuen Adam. Und vermutlich glaubte er auch selbst irgend ein Alter gewesen zu sein, so gescheit er auch sonst war. Wenn also dieser Übergang der Seelen in der Wahrheit gegründet wäre, wenigstens in der vorher von mir erläuterten möglichen Weise (die aber nicht wahrscheinlich erscheint), d.h. daß die Seelen, indem sie feine Körper behalten, plötzlich in andere gröbere Körper übergingen, so wurde dasselbe Individuum immer im Nestor, im Sokrates und in irgend einem Menschen der neueren Zeit da sein, und er könnte selbst seine Identität demjenigen erkennbar machen, der hinlänglich in sein Wesen eindringen würde, auf Grund der Eindrücke oder Zeichen, die daselbst von allem dem, was Nestor oder Sokrates getan haben, geblieben sind und welche ein genugsam scharfsinniger Geist auch da lesen könnte. Wenn der Mensch der neuen Zeit indessen kein inneres oder äußeres Mittel hätte, um zu erkennen, was er gewesen ist, so würde dies hinsichtlich der moralischen Welt gerade so sein, wie wenn er es nicht gewesen wäre. Aber es hat den Anschein, daß im Universum nichts versäumt wird, gerade wegen der moralischen Welt, weil Gott, dessen Herrschaft eine vollkommene ist, darüber Monarch ist. Meinen Annahmen nach sind die Seelen nicht gleichgültig hinsichtlich irgend eines Teiles der Materie, wie es Ihnen zu sein scheint; sie drücke im Gegenteil ursprünglich diejenigen Teile aus, denen sie der Ordnung nach verknüpft sind und verknüpft sein müssen. Wenn sie also in einen neuen groben oder sinnlich wahrnehmbaren Körper übergingen, würden sie immer den Ausdruck alles dessen, wovon sie in den alten Körpern eine Wahrnehmung gehabt haben, bewahren, und der neue Körper müßte dies sogar immer empfinden, so daß die individuelle Fortdauer immer ihre wirklichen Spuren haben wird. Aber welches auch immer unser vergangener Zustand gewesen sein mag, die von ihm hinterlassene Wirkung kann uns nicht immer vernehmbar sein. Der geschickte Verfasser der Abhandlung über den Verstand, dessen Ansichten Sie zu den Ihrigen gemacht haben, hatte bemerkt (im zweiten Buch, Kapitel von der Identität, § 27), daß ein Teil seiner als möglich vorgestellten Annahmen oder Fiktionen vom Durchgang der Seelen sich darauf gründet, daß man den Geist gemeiniglich nicht allein als unabhängig von der Materie, sondern auch als gleichgültig gegen jegliche Art derselben betrachtet. Ich hoffe aber, daß dasjenige, was ich Ihnen über diesen Gegenstand hie und da gesagt habe, diesen Beitel aufzuklären und, was von Natur möglich ist, besser erkennen zu lassen dienen wird. Man begreift dadurch, wie die Handlungen eines Alten einem Menschen der Neuzeit angehören würden, der dieselbe Seele hätte, wenn er sich dessen auch nicht bewußt wäre. Wenn man sie aber als solche erkannt haben würde, würde überdies noch eine persönliche Identität daraus folgen. Übrigens macht ein von einem Körper in den anderen übergehender Teil der Materie nicht dasselbe menschliche Individuum aus, noch das, was man das Ich nennt, sondern die Seele ist es, die es ausmacht.

§ 16. Philalethes. Dennoch ist es wahr, daß ich für eine Handlung, die mir in der Gegenwart durch dies Bewußtsein (Konsciosität oder conciousness), das ich davon habe, als durch mich selbst vollbracht zugesprochen wird, wenn sich auch vor tausend Jahren begangen worden ist, dasselbe Interesse und dieselbe gerechte Verantwortung habe, als ich sie für das habe, was ich im eben verflossenen Augenblick getan habe.

Theophilus. Diese Meinung, etwas getan zu haben, kann bei entfernten Handlungen täuschen. Man hat infolge häufiger Wiederholung für wirklich genommen, was man geträumt oder was man erfunden hatte; diese falsche Meinung kann in Verlegenheit setzen, aber nicht machen, daß man strafbar wird, wenn andere nicht damit übereinkommen. Auf der anderen Seite kann man für das, was man getan hat, verantwortlich sein, wenn man es auch vergessen hätte, falls die Handlung nur sonst sich beglaubigen läßt.

§ 17. Philalethes. Jedermann erfährt es tagtäglich, daß, klänge sein kleiner Finger in diesem Bewußtsein inbegriffen ist, er an dem Ich ebensogut teilnimmt, wie ein beliebiger größter Teil.

Theophilus. Ich habe schon bemerkt (§ 11), warum ich nicht behaupten möchte, daß mein Finger ein Teil seines Ichs ist, aber allerdings gehört er mir zu und macht einen Teil meines Körpers aus.

Philalethes. Die, welche anderer Meinung sind, werden sagen, daß, wenn dieser kleine Finger vom übrigen Körper getrennt wird, falls jenes Bewußtsein ihn begleitete und den übrigen Körper verließe, der kleine Finger dann offenbar die Person, dieselbe Person sein und das Ich alsdann mit dem übrigen Körper nichts zu schaffen haben würde.

Theophilus. Die Natur läßt dergleichen erdichtete Fälle nicht zu. Diese zerfallen in sich durch das System der vorherbestimmten Übereinstimmung oder des vollkommenen Entsprechens von Seele und Leib.

§ 18. Philalethes. Dennoch scheint es, daß, wenn der Körper zu leben und sein besonderes Bewußtsein zu haben fortführe, an dem der kleine Finger keinen Anteil hätte, und dabei die Seele im Finger wäre, dieser Finger keine Handlung des übrigen Körpers als die seinige in Anspruch nehmen könnte und man ihm dieselbe auch nicht zurechnen dürfte.

Theophilus. Die Seele, die im Finger wäre, würde diesem Körper auch nicht angehören. Ich gebe zu, daß, wenn Gott machte, daß die Bewußtseinszustände auf andere Seelen übertragen würden, man sie nach den gegriffen der Moral so behandeln müßte, als ob sie dieselben wären; aber das würde heißen, die Ordnung der Dinge ohne Ursache verwirren und zwischen dem Bemerkbaren und der durch die unbemerkbaren Wahrnehmungen sich erhaltenden Wahrheit eine Scheidewand aufrichten, welche nicht in der Vernunft begründet wäre, weil die für den Augenblick unbemerkbaren Wahrnehmungen sich einmal entwickeln können; denn es gibt nichts Unnützes, und die Ewigkeit bietet zu Veränderungen ein großes Feld.

§ 20. Philalethes. Die menschlichen Gesetze bestrafen nicht einen Geisteskranken für die Handlungen, welche er als Mensch von gesundem Verstande begangen hat, noch einen Menschen von gesundem Verstande für das, was er als Geisteskranker getan hat; dadurch machen wie zwei Personen aus ihm. Es ist das so, wie man sagt: er ist außer sich.

Theophilus. Die Gesetze drohen Strafen und verheißen Belohnungen, um die schlimmen Handlungen zu verhüten und die guten zu fördern. Nun kann ein Geisteskranker in dem Maße ein solcher sein, daß Drohungen und Belohnungen nicht gehörig auf ihn wirken, da die Vernunft nicht mehr die Meisterin ist, also muß nach dem Maß der Geistesschwäche die Strenge der Strafe nachlassen. Auf der anderen Seite will man, daß der Verbrecher die Wirkung des von ihm begangenen Bösen empfinde, damit man von vornherein Verbrechen zu begehen fürchte; da aber der Geisteskranke nicht hinlänglich Verständnis dafür hat, so wartet man gern eine gehörige Zwischenzeit zur Ausführung des Urteils ab, das ihn für das bei gesundem Verstande Begangene bestraft. Demnach kommt, was die Gesetze oder die Richter bei solchen Gelegenheiten tun, nicht daher, daß man sich zwei Personen dabei denkt.

§ 22. Philalethes. Man macht sich in der Tat auf seifen derjenigen, deren Ansichten ich vor Ihnen vertrete, den Einwurf, daß, wenn jemand, der betrunken ist und es nachher nicht mehr ist, nicht dieselbe Person sein soll, man ihn dann auch nicht für das bestrafen dürfe, was er in der Trunkenheit getan hat, weil er davon nichts mehr weiß. Aber die Antwort darauf lautet, daß er doch ganz ebenso dieselbe Person ist, wie jemand, der während seines Schlummerns umherwandelt und allerlei anders Handlungen ausübt und für allen den Schaden, welchen er in diesem Zustande angerichtet hat, verantwortlich ist.

Theophilus. Zwischen den Handlungen eines Betrunkenen und denen eines wirklichen und als solchen anerkannten Nachtwandlers waltet ein Unterschied ob. Man straft die Betrunkenen, weil sie die Trunkenheit meiden und selbst während ihrer Trunkenheit eine gewisse Erinnerung an die Strafe haben können. Es ist aber nicht ebenso in der Macht der Nachtwandler, sich ihres nächtlichen Ganges und dessen, was sie tun, zu enthalten. Könnte man aber allerdings dadurch, daß man ihnen auf der Stelle die Rute gäbe, sie im Bette halten, so würde man dazu das Recht haben und auch nicht verfehlen, es zu tun, obgleich das mehr ein Heilmittel, als eine Züchtigung wäre. In der Tat soll dies Mittel geholfen haben.

Philalethes. Die menschlichen Gesetze bestrafen den einen wie den andern gemäß einer der Art entsprechenden Gerechtigkeit, wie die Menschen die Dinge erkennen, weil sie in dieser Art Fällen zwischen dem, was wirklich ist und dem, was nur vorgegeben ist, nicht sicher unterscheiden können, also wird das Nichtwissen nicht als Entschuldigung für das, was man in der Trunkenheit oder im Schlaf getan hat, angenommen. Die Tatsache ist gegen den, der sie begangen hat, bewiesen, und man kann nicht zu seinen Gunsten den Mangel an Bewußtsein beweisen.

Theophilus. Es handelt sich nicht so sehr darum, als um das, was man tun muß, wenn es sicher festgestellt ist, daß der Trunkene oder der Nachtwandler außer sich gewesen sind, wie dies der Fall sein kann. In diesem Falle kann der Nachtwandler nur als ein Geisteskranker betrachtet werden, aber da die Trunkenheit freiwillig ist, die Krankheit jedoch nicht, so bestraft man den einen und nicht den andern.

Philalethes. An dem großen und furchtbaren Tage des Gerichts aber, wo die Geheimnisse aller Herzen aufgedeckt werden sollen, hat man recht zu glauben, daß niemand dasjenige zu verantworten haben wird, was ihm gänzlich unbekannt ist, und daß jeder empfangen wird, was er nach dem Zeugnis seines eigenen Gewissens verdient.

Theophilus. Ich halte es nicht für nötig, daß das Gedächtnis des Menschen am Tage des Gerichts so weit gesteigert werde, daß er sich alles dessen erinnert, was er vergessen hatte, und glaube, daß die Erkenntnis der anderen und vor allem des gerechten Richters, der sich nicht täuschen läßt, genügen werde. Man könnte einen der Wahrheit freilich wenig entsprechenden erdichteten Fall denken, der sich aber doch vorstellen läßt, nämlich daß ein Mensch am Tage des Gerichts schlecht gewesen zu sein glaubte, und daß allen übrigen geschaffenen Geistern, die darüber zu urteilen in der Lage wären, dasselbe als wahr erschiene, ohne daß es wahr wäre würde man nun sagen können, daß der höchste gerechte Richter, der allein das Gegenteil weiß, diesen Menschen verdammen und seinen Taten entgegen richten könnte? Und doch würde dies aus dem von Ihnen über die moralische Persönlichkeit aufgestellten Begriff zu folgen scheinen. Man wird vielleicht sagen, daß, wenn Gott gegen den Schein richtet, er nicht genug Ruhm erhalten und den übrigen Unmut bereiten wird; aber man kann darauf erwidern, daß er sich selbst das einzige und höchste Gesetz ist, und in diesem Falle die übrigen urteilen müssen, daß sie sich getäuscht haben.

§ 23. Philalethes. Könnten wir entweder voraussetzen, daß zwei verschiedene und miteinander nicht in Verbildung stehende Bewußtseinsvermögen abwechselnd in demselben Körper tätig sind, das eine beständig ehrend des Tages und das andere während der Nacht, oder daß dasselbe Bewußtsein in Zwischenräumen in zwei verschiedenen Körpern tätig wäre, frage ich, oh im ersteren Falle der Tagesmensch und der Nachtmensch, daß ich mich so auszudrücken wage, nicht zwei ebenso verschiedene Personen wären, wie Sokrates und Plato, und ob er nicht im zweiten Fall eine einzige Person in zwei verschiedenen Körpern ist? Es verschlägt nichts, daß das nämliche Bewußtsein, welches zwei verschiedene Körper beherrscht und jene beiden Bewußtseinsvermögen die denselben Körper zu verschiedenen Zeiten beherrsche einer und derselben immateriellen Substanz und die beiden anderen zwei verschiedenen immateriellen Substanzen angehören, welche diese verschiedenen Bewußtseinsvermögen in jene Körper einführen, da die persönliche Identität in gleicher Weise durch das Bewußtsein bestimmt sein würden es, daß dies Bewußtsein mit irgend einer individuellen unkörperlichen Substanz verbunden wäre oder nicht. Übrigens muß ein unkörperliches Wesen, das denkt, mitunter sein vergangenes Bewußtsein aus dem Gesicht verlieren und es sich aufs neue zurückrufen. Nun nehme man an, daß diese Zwischenzeiten von Gedächtnis und Vergessen den ganzen Tag und die ganze Nacht wiederkehren, so wird man zwei Personen mit demselben unkörperlichen Geist haben. Daraus folgt, daß das Ich nicht durch die Identität oder Verschiedenheit der Substanz bestimmt wird, deren man nicht sicher sein kann, sondern nur durch die Identität des Bewußtseins.

Theophilus. Ich gebe zu, daß, wenn alle Erscheinungen gewechselt und von einem Geist auf den anderen übertragen würden, oder wenn Gott einen Tausch zwischen zwei Geistern machte, indem er den sichtbaren Leib und die Erscheinungen und das Bewußtsein des einen auf den anderen übertrüge, die persönliche Identität, statt an die der Substanz geknüpft zu sein, den sich gleichbleibenden Erscheinungen folgen würde, welche die menschliche Moral im Auge halten muß; aber diese Erscheinungen werden nicht bloß in den Bewußtseinsakten bestehen, und Gott würde nicht allein die Bewußtseinserscheinungen oder -vermögen der in Rede stehenden Individuen miteinander vertauschen müssen, sondern auch diejenigen Erscheinungen, welche sich anderen in Hinsicht auf diese Personen darbieten, sonst würde zwischen den Bewußtseinsvermögen der einen und dem Zeugnis der anderen Widerspruch stattfinden, was die moralische Weltordnung verwirren würde. Man muß mir indessen zugeben, daß die Scheidung zwischen der unsinnlichen und der sinnlichen Welt d.h. zwischen den unmerklichen Wahrnehmungen, die in denselben Substanzen bleiben würden, und den Bewußtseinsakten, die vertauscht werden würden, ein Wunder sein müßte, wie wenn man voraussetzt, daß Gott einen leeren Raum hervorbringt; denn ich habe vorher gesagt, warum dies nicht der Naturordnung gemäß ist. Hier eine annehmbarere Voraussetzung! Möglicherweise findet sich an einer anderen Stelle des Universums oder zu einer anderen Zeit eine Weltkugel, die auf bemerkbare Weise nicht von der von uns bewohnten Erdkugel sich unterscheidet, und wo sich jeder der sie bewohnenden Menschen auf keine bemerkbare Weise von jedem von uns, der ihm entspricht, unterscheidet. So gibt es zugleich mehr als hundert Millionen Paare einander gleicher Menschen d.h. von Menschen derselben äußeren Erscheinung und desselben Bewußtseins, und Gott könnte die Geister allein oder mit ihrem Körper von einer Kugel auf die andere, ohne daß sie es gewahr würden, übertragen aber sei es, daß sie übertragen oder belassen werden was wird man von ihrer Person oder ihrem Ich nach der Meinung Eurer Partei sagen? Sind es zwei Personen oder eine und dieselbe? da das Bewußtsein und die inneren und äußeren Erscheinungen der Menschen auf diesen Kugeln keinen Unterschied machen könnend Allerdings würden Gott und diejenigen Geister, welche die Zwischenräume und äußeren Beziehungen der Zeiten und der Orte und selbst die inneren, den Menschen der beiden Kugeln unmerklichen Verhältnisse zu erkennen fähig sind, sie unterscheiden können, aber da nach Euren Voraussetzungen der Umstand des Bewußtseins allein die Personen unterscheidet, ohne daß man sich um die wirkliche Identität oder Verschiedenheit der Substanz oder selbst dessen, was den anderen erscheinen würde, zu bekümmern braucht, wie kann man umhin zu sagen, daß diejenigen zwei Personen, welche zu gleicher Zeit auf den beiden einander entsprechenden, aber auf eine nicht auszudrückende Entfernung auseinandergelegenen Weltkugeln sich beenden, eine und dieselbe Person seien was doch ein handgreiflicher Widersinn ist? Spricht man übrigens von dem, was von Natur möglich ist, so würden die beiden gleichen Weltkugeln und die beiden gleichen Seelen auf denselben es nur für eine Zeit bleiben. Denn da eine individuelle Verschiedenheit stattfindet, muß dieser Unterschied wenigstens in den unmerklichen Verhältnissen, welche sich in der Folge der Zeiten entwickeln müssen, bestehen.

§ 26. Philalethes. Denken wir einen Menschen, der in der Gegenwart für das, was er in einem anderen Leben getan hat, und worüber er durchaus nicht zum Bewußtsein gebracht werden kann, bestraft wird, welchen Unterschied gibt es zwischen solcher Behandlung und diejenigen, bei welcher man ihn unglücklich erschaffen hätte?

Theophilus. Die Platoniker, Origenisten, einige Juden und andere Verteidiger der Präexistenz der Seelen haben geglaubt, daß die Seelen dieser Welt in unvollkommen Körper gesetzt wären zur Strafe für die Verbrechen, welche sie in einer früheren Welt begangen haben. Aber wenn man darüber das Wahre weder weiß noch jemals erfahren wird, weder durch die Erinnerung des Gedächtnisses noch durch gewisse Spuren, noch durch das Wissen anderer, so wird man dies allerdings nicht eine Strafe nach den gewöhnlichen Begriffen nennen können. Wenn man indessen von der Strafe im allgemeinen spricht, so ist man zu zweifeln befugt, ob es absolut notwendig ist, daß diejenigen, welche leiden, selbst einmal die Ursache davon erfahren, und ob es nicht sehr oft genügen würde, daß andere besser unterrichtete Geister daraus Veranlassung nähmen, die göttliche Gerechtigkeit zu preisen. Es ist inzwischen wahrscheinlicher, daß die leidenden wenigstens im allgemeinen das Warum davon erfahren.

§ 29. Philalethes. Sie werden vielleicht beim Rechnungsabschluß mit meinem Gewährsmann sich einverstanden erklären, der sein Kapitel von der Identität folgendermaßen endet, daß die Frage, ob der Mensch derselbe bleibe, eine Wortfrage ist, je nachdem man unter Mensch den vernünftigen Geist allein versteht oder den Körper allein in derjenigen Form, welche Mensch genannt wird, oder endlich den mit einem solchen Körper verbundenen Geist. Im ersten Falle wird der abgetrennte Geist (wenigstens der von dem gröberen Körper abgetrennte Geist) noch der Mensch sein, im zweiten wird ein Organ Utan, der uns mit Ausnahme der Vernunft vollständig gliche, auch ein Mensch sein, und wenn der Mensch seiner vernünftigen Seele beraubt würde und eine Tierseele empfinge, so würde er derselbe Mensch bleiben. Im dritten Falle muß der eine und der andere in derselben Vereinigung bleiben, derselbe Geist und derselbe Körper zum Teil oder wenigstens ein entsprechender, was die sinnliche körperliche Form betrifft. So könnte man als dasselbe Wesen physisch oder moralisch verharren d.h. dieselbe Person bleiben, ohne Mensch zu bleiben, im Fall, daß man diese Gestalt diesem letzteren Sinne gemäß als dem Menschen wesentlich betrachtet.

Theophilus. Ich gestehe, daß es sich dabei um eine Wortfrage handelt, und daß es im dritten Falle so ist, wie wenn dasselbe Tier bald Raupe oder Seidenwurm und bald Schmetterling ist, und wie nach der Einbildung gewisser Leute die Engel dieser Welt Menschen in einer früheren Welt gewesen sind. Aber wir sind in dieser Zusammenkunft mit wichtigeren Untersuchungen als mit den über die Wortbedeutungen beschäftigt. Ich habe Ihnen die Quelle der wahren physischen Identität gezeigt, ich habe dargetan, wie die Moral ebensowenig wie das Gedächtnis dagegen spricht, daß sie nicht immer die psychische Identität derselben Person die es sich handelt, auch nicht denen, welche mit ihr in Verkehr stehen, anzeigen können, daß gleichwohl aber sie der psychischen Identität niemals widersprechen und sich von ihr niemals trennen; daß es immer erschaffene Geister gibt, welche erkennen oder doch erkennen können, wie es damit steht; aber daß man z.B. anzunehmen Grund hat, das, was hinsichtlich der Personen Gleichgültiges dabei ist, könne nur für eine Zeit gelten.



[1] © Digitale Bibliothek.

Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Ins Deutsche übersetzt, mit Einleitung, Lebensbeschreibung des Verfassers und erläuternden Anmerkungen versehen von C. Schaarschmidt. Zweite Auflage. Leipzig: Dürr, 1904 (Philosophische Bibliothek, Bd. 69). S. 219-240. (Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 18522-18556).

Letzte Aenderung: 23:30 1.10.2005

 
 
 

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