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II. Methodisches.

Konzeption des Projekts
Zielsetzungen
Methoden
Allgemeines

Zielsetzungen

Die philosophische Konzeptualisierung der personalen Identität des Menschen bildet einen zentralen Bestandteil der Diskussion über die Grundlagen des rationalen Erkennens in der Wissenschaft sowie über die Grundlagen vernünftigen menschlichen Handelns im Recht, in der Moral und in der Politik. Insbesondere in der europäischen Moderne bildet das kulturelle Selbstverständnis des Menschen als Person einen fundamentalen Faktor der politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung, die seit der Französischen Revolution zur Konstituierung der europäischen Demokratien und einer ihnen entsprechenden wissenschaftlichen Kultur führte. Darüber hinaus sind ‚Person’ und ‚Subjekt’ heute mehr denn je zu Schlüsselbegriffen der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion geworden, in denen die humanwissenschaftlichen, technischen und sozialen Entwicklungen der Gegenwart thematisiert werden. Hinzu kommen die Herausforderungen an ein differenziertes Verständnis von ‚Subjektivität’ und ‚Personalität’, die aus der globalen Kommunikation erwachsen, wie die interkulturelle Auseinandersetzung um die Menschenrechte zeigt. Kurz: Person und Subjekt stehen im Mittelpunkt der philosophischen Reflexion und sind mehr denn je fundamental umstritten.

Die Konkretisierung des Forschungsprogramms auf den Bereich des deutsch-russischen Kultur- und Wissenstransfers hat folgende Gründe:

Die Ausbildung einer selbständigen philosophischen Tradition in Rußland erfolgte unter starkem Einfluß der deutschen Philosophie. Ebenso ist die gegenwärtige Entwicklung der philosophischen Diskussion in hohem Maße durch Übersetzungen deutschsprachiger philosophischer Werke geprägt. Diese Transferprozesse bilden daher ein geeignetes Terrain zur Analyse der Transformationen, die die philosophisch reflektierten Sinnstrukturen bei der Übertragung in ein anderes kulturelles Umfeld erfahren.

Insbesondere läßt sich zeigen, in welchem Maße die zentralen Konzepte deutscher Philosophie in einem anderen Diskussionskontext alternative Argumentationspotentiale entfalten. Denn in der kulturellen Tradition Rußlands spielt die Bedeutung der ‚Person’, die sich stärker an den griechischen Begriff ‚próswron’ (Antlitz) anlehnt, als dies beim lateinischen ‚persona’ der Fall ist, eine fundamentale Rolle. Diese Semantik von ‚Person’ wird zu einem wichtigen Bestandteil der metaphysischen und ästhetischen Diskussionen (z.B. in der Theorie der Ikonenmalerei oder in der russischen Avantgarde).

Gleichzeitig läßt sich hinsichtlich der Personalitätskonzepte feststellen, daß bei der Konstituierung des Verständnisses von ‚Person’ in der russischen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts der Kantische Begriff der ‚Person’ sowie die Hegelsche rechts- und geschichtsphilosophische Auffassung von ‚Persönlichkeit’ im Mittelpunkt der Diskussion stand. Die englische philosophische Tradition (etwa Lockes Konzeption von ‚personal identity’) spielte dagegen in diesem Prozeß eine untergeordnete Rolle.

Eine Untersuchung des Bedeutungswandels im Begriffsfeld der ‚Personalität’ ermöglicht es daher, das Aufeinandertreffen verschiedener Deutungstraditionen aus einer interkulturellen Perspektive zu thematisieren. Dies ist bisher nur in Ansätzen unternommen worden. Eine grundlegende und interdisziplinär angelegte Untersuchung der Personalitätsverständnisse in der russischen philosophischen Kultur als einem Bestandteil der europäischen Moderne bildet ein dringendes Desiderat der Forschung.

Weiterhin erlaubt eine solche Untersuchung es, ein detaillierteres Verständnis für die kulturellen Veränderungen in der russischen Modernisierungsgeschichte und der Gegenwart Rußlands vor dem Hintergrund der europäischen Moderne zu entwickeln. Diese Ergebnisse der Grundlagenforschung schaffen zugleich einen Deutungsrahmen, in dem medizinethische, rechtliche und politische Fragen der ‚Personalität’ beim deutsch-russischen wissenschaftspolitischen Dialog diskutiert werden können.

Der Gesichtspunkt einer historischen Semantik fokussiert die Untersuchung auf die zentrale Bedeutung der Sprache bei der Konstituierung des kulturellen Bewußtseins. Durch die Rekonstruktion von Transformationen in den semantischen Strukturen werden implizite Wissens- und Deutungsmuster in der Auffassung von ‚Person’ freigelegt, die die Stellung des Personalitätsverständnisses in einer Kultur und im Austausch von Kulturen bestimmen. Somit wird die Problematik der Personalität von vornherein nicht isoliert ideengeschichtlich in den Blick genommen, sondern methodisch wie inhaltlich interdisziplinär (philosophisch, sprachgeschichtlich, historisch) aufgearbeitet. Damit können in der Untersuchung Impulse der neueren begriffsgeschichtlichen Forschung, die sowohl die interdisziplinäre Dimension der historischen Semantik als auch die Verbindung von Sprache und sozialer Erfahrung stärker in den Vordergrund stellt, aufgenommen und weiterentwickelt werden.

Allgemeines

Das Projekt zielt auf eine Rekonstruktion des Verständnisses von Personalität und Subjektivität, das im deutsch-russischen Kultur- und Wissenstransfer entwickelt wurde. Somit ist das Hauptziel, die gegenwärtige Diskussion um Person- und Subjektbegriffe durch eine interkulturelle Perspektive zu erweitern. Eine Erweiterung wird in zweierlei Hinsicht gesehen: Zum einen werden in die Diskussion bisher unerforschte Konzepte eingebracht, die andere Akzentsetzungen im Personalitätsverständnis beinhalten. Zum anderen kann eine neue Perspektive bei der Erforschung bekannter Konzepte der deutschen Philosophie entwickelt werden: Durch eine Rekonstruktion der Weisen, wie diese Konzepte in anderen Diskussionskontexten zum Einsatz gebracht werden, lassen sich in ihnen neu argumentative Potentiale erschließen.

Der methodische Ansatz einer historischen Semantik, der dem Vorhaben zugrundegelegt wird, zielt nicht auf eine normative Bestimmung des Begriffs ‚Person’, sondern auf eine Rekonstruktion des Vokabulars, mit dem in der Geschichte und der Gegenwart die personale Identität des Menschen philosophisch konzeptualisiert wird. Bei der Untersuchung wird von drei zentralen Phasen des deutsch-russischen Kulturtransfers ausgegangen, in denen sich ein grundlegender Wandel in der Semantik der ‚Personalität’ feststellen läßt:

- 1830-1860er Jahre: Auseinandersetzung mit den Subjektivitätstheorien des Deutschen Idealismus sowie erstes Aufkommen und Verbreitung der zum Begriffsfeld ‚Personalität’ gehörenden Begriffe (‚Persönlichkeit’, ‚Individualität’, ‚Subjektivität’)

- 1890-1920 Jahre: Herausbildung eines gemeinsamen deutsch-russischen Diskussionsraumes im Frühmarxismus und Neukantianismus sowie die Debatten um die moralisch-politische, metaphysische und ästhetische Bedeutung der ‚Personalität’

- 1970-1990 Jahre: Übergang von der Sowjetphilosophie zu einer ideologiefreien Forschung sowie die Beziehungen der deutschen und russischen Philosophie in der Zeit einer gegenwärtigen Neuorientierung der postsowjetischen Philosophie in Rußland.

Die Erforschung des semantischen Transfers zwischen deutschem und russischem Kulturraum erfordert aufgrund der Forschungslage eine konzentrierte Analyse des Begriffswandels in der russischen Geistesgeschichte. Hinsichtlich der deutschen Geistesgeschichte kann die geplante Untersuchung dagegen an die Studien zum Begriffsfeld der ‚Personalität’ in der deutschsprachigen philosophischen Tradition, das detailliert erforscht ist, anknüpfen.

Aus diesem Grund sollen bei der Präsentation der Ergebnisse unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion des Begriffsfeldes der ‚Personalität’, die in Form eines Lexikons „Bausteine zu einem interkulturellen Lexikon der Personalität“ vorgelegt werden soll, wird schwerpunktmäßig den semantischen Wandel in der russischen Philosophie- und Geistesgeschichte darstellen. Das „Lexikon“ soll zweisprachig (deutsch-russisch) verfaßt sein.

Eine das Vorhaben abschließende Studie zum Thema „Der philosophische Diskurs der Personalität in interkultureller Perspektive“ soll Aspekte des Bedeutungstransfers in der deutsch-russischen philosophischen Kommunikation untersuchen. Sie zielt darüber hinaus auf eine Analyse der Funktion der Philosophie im kulturellen und interkulturellen Umfeld.

Somit läßt sich das Hauptziel des Forschungsprojekts folgendermaßen untergliedern:

- Historisch-semantische Untersuchungen zum Begriffsfeld der ‚Personalität’

- Rekonstruktion des philosophischen Diskurses der ‚Personalität’

- Untersuchungen zur Funktion der Philosophie im interkulturellen Transfer.

Zu den wissenschaftspolitischen Zielen, die bei der Verwirklichung des Forschungsanliegens zusätzlich angestrebt werden, gehört der Aufbau langfristiger Beziehungen zu Wissenschaftlern aus den GUS-Staaten sowie eine Koordinierung und Bündelung der Forschung in Deutschland im Bereich der russischen Philosophie.

Untersuchungen zum Begriffsfeld der ‚Personalität’

Einen Bestandteil des Forschungsprojekts bildet die Analyse des philosophischen Vokabulars, das zur Beschreibung von Person in der russischen Geistesgeschichte entwickelt wird. Die Vielfalt der Begriffe wie ‚Person’/ ‚Persönlichkeit’, ‚Subjekt’/ ‚Subjektivität’, ‚Individuum’/ ‚Individualität’, ‚Ich’, ‚Selbst’ konstituiert ein Begriffsfeld der ‚Personalität’, das den zentralen Gegenstand der Untersuchung bildet. Ziel der Untersuchung ist es, Paradigmen des Personalitätsverständnisses in seinem metaphysischen, ethischen, rechts- und religionsphilosophischen, psychologischen und ästhetischen Aspekt sowie die semantischen Transformationen der diese Aspekte konzeptualisierenden Begriffe zu rekonstruieren und zu einem zusammenhängenden ‚Diskurs der Personalität’ in seiner Geschichte und Gegenwart zusammenzufassen.

Die Untersuchung zielt auf eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion nicht nur der wichtigsten Konzepte der Personalität in der russischen Geistesgeschichte, sondern eines breiten Spektrums der Begriffsverwendungen ab, wie es in den philosophisch-literarischen und publizistischen Diskussionen in Rußland zu finden ist. Da das Forschungsfeld nur in Ansätzen erschlossen ist, ist eine vorausgehende Auswertung und Erschließung der Quellen vom historisch-semantischen Standpunkt erforderlich. Dies soll in einem internetgestützten Dokumentationssystem geleistet werden (s.u. Kap.: „Erwartete Ergebnisse“ und „Durchführungsplan“).

Unter historisch-semantischem Gesichtspunkt läßt sich die russische Philosophiegeschichte, in der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Begriffsfeld der ‚Personalität’ zum zentralen Streitpunkt der Diskussion avanciert, als ein Wandel der Personalitätskonzepte begreifen. Dabei läßt sich dieser Wandel als eine Spannung zwischen dem Begriff einer ‚autonomen’ Person und dem Begriff einer ‚gebundenen’ Person rekonstruieren, wobei ein Spektrum verschiedener Deutungen der zu diesem Feld gehörenden Begriffe entwickelt wird.

Aus der Debatte um die Personbegriffe, die eine starke Verbindung zu den zentralen Phasen der westeuropäischen Philosophieentwicklung aufweist, entfaltet die Philosophie in Rußland eine öffentliche Aufmerksamkeit und wird somit zu einem Faktor der sich bildenden öffentlichen Meinung. Dies gilt für die gesamte Periode seit der Mitte des 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In der Sowjetzeit wird die Semantik der ‚Personalität’ weitgehend ideologisiert, obwohl sich auch in dieser Zeit ein Bedeutungsspektrum nachweisen läßt, das verschiedene psychologische, ästhetische und philosophiegeschichtliche Konzeptualisierungen von ‚Personalität’ ermöglicht.

Der philosophische Diskurs der Personalität

Unter diskursgeschichtlichem Aspekt zielt das Forschungsprojekt auf eine Untersuchung der sozialen und kulturellen Bedingungen der Herausbildung einer philosophischen Sprache der ‚Personalität’ ab. In der Auswahl dieses Gesichtspunktes trägt das Forschungsprojekt methodisch den neuesten Diskussionen in der Theorie der Begriffsgeschichte Rechnung, in denen eine engere Verbindung des Sprachwandels mit den Transformationen der sozialen Erfahrung gefordert wird. Die im Forschungsprojekt angezielte Untersuchung der verschiedenen Verwendungen der Begriffe aus dem Feld ‚Personalität’ wird somit um Rekonstruktionen des soziokulturellen Umfeldes des Sprachgebrauchs erweitert und auf diese Weise zu einer Rekonstruktion des ‚philosophischen Diskurses der Personalität’ umgestaltet.

Eine Rekonstruktion des ‚Diskurses’ beinhaltet zum einen die Analyse von Transformationen des Begriffsgebrauchs — wann die Begriffe auftreten, welche thematischen Unterscheidungen durch die eingeführten Begriffe gesetzt werden, in welche zusammengesetzten Ausdrücke die fraglichen Begriffe eingehen, welche Bedeutungsaspekte hinzukommen oder absterben, welche begrifflichen Substitute verwendet werden. Sie beinhaltet zum anderen die damit verbundene Analyse des soziokulturellen Umfeldes — welche Faktoren (Bildungsinstitutionen, Zensurbeschränkungen, Verbindung mit sozialen Schichten und Diskussionsgemeinschaften) den Bedeutungswandel beeinflussen, welche Funktionen (wissenschaftliche, politisch-publizistische usw.) der Begriffsgebrauch im sozialen Umfeld erfüllt, welche sozialen Gruppen die fraglichen Begriffe verwenden und zu welchen Zwecken, auf welche Weise der Begriffsgebrauch überliefert wird.

Untersuchungen der Funktion der philosophischen Sprache im soziokulturellen Umfeld

Im Rahmen der geplanten diskursgeschichtlichen Untersuchung soll außerdem die kulturelle Funktion der philosophischen Begriffe erforscht werden, wie sie in verschiedenen Diskussionskontexten und in bezug auf unterschiedliche Problemkonstellationen ausgeübt wird. Diese Betrachtung versteht sich als Beitrag zur Diskussion der interkulturellen Rolle der Philosophie in der Situation eines grundlegenden Wandels der kulturellen Identitäten sowie des Selbst- und Fremdverständnisses.

Für eine solche Untersuchung bietet das Begriffsfeld der ‚Personalität’ ein besonders prägnantes Exempel, da für die Ausbildung der Semantik von Begriffen wie ‚Persönlichkeit’ und ‚Subjektivität’ in der russischen Sprache der Einfluß philosophischer Diskussionen von entscheidender Bedeutung war. Dies gilt sowohl für die semantischen Transformationen in der Mitte des 19. als auch am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die interkulturelle Dimension wird in die Analyse des Diskurses der ‚Personalität’ einerseits dadurch eingebracht, daß die Transformationen in den Grundkonzepten der deutschen Philosophie (Leibniz’, Kants, Hegels, Marx’, Husserls, Schelers, Bubers) bei der Übertragung in die russischen Diskussionskontexte untersucht werden. Ziel dieser Untersuchung ist eine Rekonstruktion der veränderten argumentativen Zusammenhänge, in denen diese Grundkonzepte der ‚Personalität’ auftreten und dadurch andere thematische Akzentsetzungen erhalten.

Andererseits soll der interkulturelle Gesichtspunkt dadurch geltend gemacht werden, daß die unterschiedlichen soziokulturellen Bedingungen beider Länder, unter denen die Philosophie ihre Funktion erfüllt, in der Analyse der Ausbildung und Wirkung des Begriffsfeldes der ‚Personalität’ mit in den Blick genommen werden. Auf diese Weise kann die in der wissenschaftstheoretischen Diskussion als unfruchtbar angesehene Entgegensetzung einer kognitiven und sozialen Analyse des philosophischen Wissens aufgebrochen und in eine hermeneutisch-pragmatische Auffassung der Philosophie transformiert werden, die die soziale und kognitive Komponente des philosophischen Wissens eng miteinander verzahnt.

Letzte Aenderung: 17:15 25.08.2008
 
 
 

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