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II. Methodisches.

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Methoden

Das Forschungsprojekt basiert auf dem methodischen Programm einer historischen Semantik in seiner Anwendung auf die philosophische Begriffsgeschichte.

Aufgabe einer historischen Semantik ist es, Wissens- und Deutungsstrukturen zu untersuchen, die die sprachliche Konstitution der Wirklichkeit in der soziokulturellen Erfahrung einer Epoche bzw. einer Kulturgemeinschaft prägen. Es geht der historischen Semantik um eine soziokulturelle Geschichte des Wissens, wie sie anhand des Bedeutungswandels der zentralen Konzepte einer Kultur rekonstruierbar ist.

Den Kern einer historischen Semantik bildet somit die Begriffsgeschichte in modifizierter Form. Die Modifikationen der traditionellen Begriffsgeschichte liegen vor allem darin, daß in der historischen Semantik keine Einzelbegriffe (Begriffswörter) zum Gegenstand der Untersuchung gemacht, sondern Begriffe im Rahmen von konzeptuellen Netzen und Begriffskonstellationen untersucht werden, in denen sie erst ihre Bedeutung erhalten. Begriffe als Elemente von semantischen Feldern zu erforschen, heißt, sie als sprachliche Artikulationen von sozialen Erfahrungen, Anschauungs- und Erklärungsmustern zu analysieren. In diesem Zusammenhang des sozialen Wissens lassen sich dann bestimmte Invarianzen feststellen, die in Form von Begriffen den kommunikativen Prozeß der soziokulturellen Aneignung der Wirklichkeit strukturieren. Somit werden Begriffe nicht als eigenständige kognitive Entitäten für sich betrachtet, sondern als Momente von Aussagekomplexen, die im diskursiven Handeln (im Rahmen bestimmter Diskussionsgemeinschaften und vermittels bestimmter Argumentationsstrategien) ausgebildet werden. Einzelne Begriffe fungieren lediglich als Titel für Wissenskomplexe, in denen sich die soziokulturelle Erfahrung niederschlägt.

In diesem Sinne berücksichtigt das methodische Programm einer historischen Semantik einerseits die Argumente für einen ‚semantischen Holismus’ (Quine) in der späten Analytischen Philosophie, die semantische ‚Makrozusammenhänge’ als Träger sprachlicher Bedeutung begreift. Andererseits trägt das Programm den Entwicklungen der Theorie der Begriffsgeschichte in Richtung einer ‚Diskursgeschichte des sozialen Wissens’ Rechnung, die in verstärktem Maße den sprachlichen Bedeutungswandel als Ausdruck und Ergebnis der Transformationen in den personenübergreifenden Wissensstrukturen einer Epoche (im Diskurs) versteht.[1] Die Analyse der Bedeutung wird demnach als Untersuchung der Funktionen sprachlicher Zeichen im kommunikativen Prozeß konzipiert, wobei zu einer solchen Untersuchung sowohl die Erforschung von Sprechergruppen, Diskussionsgemeinschaften und Sprechhandlungszielen, als auch die Analyse der Vielfalt sprachlicher Mittel, die das gesamte Begriffsfeld konstituieren, gehört.

So verstanden grenzt sich das Programm einer historischen Semantik von der ‚Ideengeschichte’ ab, die die ideellen Konzeptionszusammenhänge der einzelnen ‚großen Denker’ erforscht. Demgegenüber überschreitet die historisch-semantische Untersuchung die Ebene der Analyse einzelner Begriffe und einzelner Texte in Richtung einer Erschließung des kognitiven Rahmens, in dem sich individuelle Erkenntnispositionen ausbilden. In bezug auf das zu erforschende Begriffsfeld genommen, strebt eine historisch-semantische Untersuchung weder die Erkenntnis dessen an, was die ‚Person’ ‚an sich’ bedeutet, noch allein die Erkenntnis dessen, wie in den kanonischen Texten der russischen und deutschen Philosophiegeschichte die ‚Person’ definiert wird. Vielmehr gilt es zu erforschen, welche Verständnismuster von Personalität in den Diskussionen entwickelt und wie sie in der philosophischen Konzeptualisierung reflektiert werden.

Zu den methodischen Schritten der Untersuchung gehören:

- Korpusbildung: Auswahl der einschlägigen Texte, die sich mit dem Thema der ‚Personalität’ befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und in einem Kommunikationszusammenhang (Zeitraum, Texttypus, institutioneller Bereich) stehen

- Zusammenstellung der Daten zur allgemeinen Sprachgeschichte der zu untersuchenden Begriffe (Wörterbücher, Lexika)

- Untersuchung der Enzyklopädien und philosophischen Fachwörterbücher zum Zweck der Erstellung eines Glossars der Terminologie der ‚Personalität’ mit Berücksichtigung der Phasen lexikalischer Normierung des fachlichen Sprachgebrauchs

- Rekonstruktion der Typen des Begriffsgebrauchs: Auswahl der Textbelege, Untersuchung der Begriffswortvorkommnisse in der Textumgebung, Gruppierung und Typisierung der Vorkommnisse, Rekonstruktion der diachronen Verbindungen zwischen den einzelnen Typen

- Rekonstruktion der semantischen Beziehungen zwischen den einzelnen Begriffen: die Konstitution des Begriffsfeldes und seiner konzeptuellen Strukturen, Rekonstruktion der Tendenzen des Begriffswandels

- Rekonstruktion und Interpretation der Typen der Personalitätsverständnisse auf der Basis des konstituierten Begriffsfeldes

- Analyse der Argumentationszusammenhänge, in denen die zu untersuchenden Begriffe vorkommen

- Rekonstruktion von Diskursstrukturen auf der Basis des konstituierten Begriffsfeldes: soziokultureller Status der Autoren (Wissenschaftler, Publizist, Literaturkritiker etc.), institutionelle Eigenschaften der Texte (Universitätsschriften, Aufsätze in Fachzeitschriften, Aufsätze in den literarischen Zeitschriften und Sammelschriften), Texttypen und ihre soziokulturelle Wirkung; Schlußfolgerungen über die soziokulturellen Wirkungen bestimmter Begriffe und Verständnisse von ‚Personalität’

- Analyse des historischen Wandels von Diskursstrukturen.

Die Einbeziehung der interkulturellen Perspektive (des deutsch-russischen Transfers) in die diskursgeschichtliche Untersuchung soll in folgenden methodischen Schritten erfolgen:

- Bibliographische Erfassung des Bestandes der vorhandenen Übersetzungen philosophischer Werke zum einschlägigen Thema (sowohl der Übersetzungen deutschsprachiger Werke ins Russische als auch der russischen Texte ins Deutsche)

- Zusammenstellung deutsch-russischer terminologischer Entsprechungen im Begriffsfeld der ‚Personalität’ bei einzelnen Philosophen und Philosophierichtungen (Kant, Hegel, Marx, Schopenhauer, Nietzsche, Husserl und der Phänomenologie, des Neukantianismus u.a.).

- Erforschung der einzelnen Versuche zur Übersetzung philosophischer Termini der ‚Personalität’ außerhalb der Übersetzung ganzer Werke

- Analyse der rezeptionsgeschichtlichen Daten und Ermittlung der zentralen Tendenzen in der Rezeption von Personalitätsverständnissen

- Untersuchung von Argumentationszusammenhängen, in denen die rezipierten Begriffe eingesetzt werden, sowie Analyse der thematischen Verlagerungen, die durch den Einsatz dieser Begriffe in einem anderen kulturellen Kontext entstehen.

Das Forschungsprojekt ist interdisziplinär angelegt. Bei der Erschließung der begriffsgeschichtlichen Daten ist eine Kooperation mit Sprachwissenschaftlern vorgesehen. Die Rekonstruktion des Diskurses der ‚Personalität’ erfolgt in Zusammenarbeit mit Sozial- und Kulturhistorikern.



[1] Vgl.: Busse, D., Hermanns, F., Teubert, W. (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen 1994; Busse, H.: Historische Semantik. Analyse eines Programms. Stuttgart 1987.

Letzte Aenderung: 18:03 21.11.2005
 
 
 

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